Auf dem Land- und Seeweg nach China

30. China - Kirgisistan - Usbekistan

Die Ausreise aus China war denkbar zäh. Der Morgen begann mit einem Stromausfall. Das erschwerte den Check-Out im Hotel. Der Taxifahrer verstand mal wieder nichts. Ich habe ihn dann mit Maps.Me und GPS zum zentralen Busbahnhof von Kashgar dirigiert. Er hat wohl bis zum Schluss nicht kapiert, wo ich hin will. Denn er ließ mich an der falschen Seite einer vierspurigen Straße raus, so dass ich erstmal über die Leitplanken klettern musste, um zum Busbahnhof zu gelangen. 

Es war noch stockdunkel. Das riesige Gebäude des Busbahnhof war komplett unbeleuchtet. Lag das am Stromausfall? Oder war auch dieser Busbahnhof nicht mehr in Betrieb?

Mein Plan ist, von hier aus nach Ulugtschat zu fahren. Dieser Ort ist ungefähr 100 Kilometer entfernt. Dort ist die chinesische Stelle für die Ausreisekontrolle. Danach sind es dann nochmal ungefähr 100 Kilometer bis zum eigentlichen Grenzübergang nach Kirgisistan. Bei der Fahrt dorthin geht es über den Irkeshtam-Pass.

Der Busbahnhof hier in Kashgar wirkt wie eine Festung. Um reinzukommrn, muss man es erst durch ein großes Kontrollgebäude hindurch schaffen. Darin befinden sich zwar ein paar verschlafene Wachleute, aber die lassen mich nicht passieren. Sie rufen mehrfach: "Ulugtschat, No!". Wieder frage ich mich, ob dieser Busbahnhof überhaupt in Betrieb ist.

Auch die umstehenden Taxifahrer wollen mir einreden, dass es hier definitiv nicht nach Ulugtschat geht. Ich soll woanders hingehen. Wohin, sagen sie nicht. Ein Taxifahrer bietet an, mich für viel Geld dort hinzufahren. 

Ich hänge fest. Schon seit eineinhalb Stunden stehe ich nun hier rum. Es ist immer noch dunkel und bitter kalt. Ich bin nur noch nicht woanders hingegangen, weil mir gerade keine andere, leicht umzusetzende Option einfällt. Mit dem Zug nach Ürümqi fahren und von dort aus raus aus China? Das wären mehrere tausend Kilometer Umweg. Und dort ist es ja auch nicht leicht, wie ich ganz genau weiß. Nochmal einen Tag im Hotel verbringen und ein Flugticket besorgen? Dann wäre hier meine Überlandreise zu Ende.

Da erscheint eine Frau auf dem Vorplatz zum Busbahnhof. Es stellt sich heraus, dass auch sie nach Ulugtschat will. Das ist ein kleiner Lichtblick. Es scheint also doch von hier aus zu gehen.

Ab jetzt hänge ich mich an diese Frau wie eine Klette. Weil sie friert, habe ich eine Idee. Wir kommen zwar am Eingang des Kontrollgebäudes zum Busbahnhof nicht rein, aber wir können uns in den kleinen Bereich am Ausgang stellen. Dort müssen wir zwar immer der Drehtür aus dem Weg gehen, wenn ein Bediensteter rauskommt, aber hier ist es warm.

Die Wachleute vom Eingang des Kontrollgebäudes können uns hier sehen. Aber sie verjagen mich nicht, vielleicht weil jetzt die Frau dabei ist. Ich habe also schon mal einen Fuß drin.  

Beim Warten versuche ich von der Frau zu erfahren, wann wir nach Ulugtschat fahren. Sie streckt mir 4 Finger entgegen. Ich verstehe nicht. Vier Uhr? Sie gibt sich keine weitere Mühe, mir das zu erklären. Später wird mir klar, dass das tatsächlich eine Art Zeitangabe war. Es sollte bedeuten, wenn sich vier Fahrgäste gefunden haben, und somit ein Auto voll besetzt ist, geht es los.

Mittlerweile brauche ich dringend eine Toilette. Ich kenne das Wort dafür, weil es mir ein netter deutscher Mitreisender damals in Dunhuang mit einer Eselsbrücke beigebracht hat. Es klingt so ähnlich wie Skischuh mit noch einem Wort dran. Ich sage also laut: "Schischuhtien". Es wirkt wie ein Zauberwort. Dafür haben die Wachleute offenbar Verständnis. Sie winken uns heran.

Wir gehen durch den Ausgang nach draußen und dann von außen durch den Eingang wieder rein in das Kontrollgebäude. Jetzt dürfen wir durch, hinein in die riesige Busstation. Da drin ist noch alles dunkel. Es gibt nur eine rötliche Notbeleuchtung. Aber jetzt sind wir schon mal mit beiden Füßen drin.

Mit der Zeit finden sich noch mehr Fahrgäste, die nach Ulugtschat wollen. Wir gehen also zum Ticket-Schalter, der tatsächlich besetzt ist. Die Ticket-Verkäuferin will auch gleich aktiv werden, aber dann erschlafft ihr Tatendrang sofort wieder. Jemand, der ein paar Worte Englisch kann, sagt: "No car". Es gibt also inzwischen genug Fahrgäste, aber kein Auto,  das dort hinfährt.

Da sehe ich plötzlich ein Schild, auf dem auch in englisch zu lesen ist, dass es hier Direktbusse nach Kirgisistan gibt. Das wäre doch die Lösung. Laut Schild fährt der Bus in einer halben Stunde los. Jetzt muss es schnell gehen. Der Schalter ist nicht besetzt. Ich mache die Hölle heiß, dass sich aus dem Hintergrund ein Ticket-Verkäufer her bewegt. Ich kann ihn dazu veranlassen, den Ticketverkauf einzuleiten.

Da kommt ein Mann vorbei, der etwas sagt, das so klingt wie: "Heute fährt kein Bus nach Kirgisistan. In drei Tagen wieder". Der Ticket-Verkäufer legt seine Arbeit wieder nieder.

Ok, dann doch wieder Ulugtschat. Aber wo sind die anderen Fahrgäste? Sie sind weg. Sie haben wohl ein Auto bekommen und sind raus, ohne mir etwas zu sagen. Jetzt bin ich sauer. Ich gehe einfach ohne Ticket durch die Ticket-Kontrolle, vorbei am verdutzen Kontroller, hinaus auf den Platz, wo die Busse und Autos losfahren. Ich will den Fahrer direkt bezahlen. Aber die anderen sind nicht mehr zu sehen. Und niemand von den Fahrern will mir hier helfen. Es ist zum Verzweifeln.

Zurück im Busbahnhof geht es zurück an den Schalter, wo möglicherweis Tickets nach Ulugtschat verkauft werden. Jetzt geht es auf einmal. Ich erhalte ein Ticket, gehe wieder durch die Ticketkontrolle, diesmal mit Ticket, und finde auf dem Platz sofort mein Auto. Drei Fahrgäste sitzen schon drin. Wo kommen die denn auf einmal her? Ich darf auf der Rückbank in der Mitte sitzen. Es geht sofort los. Wir fahren nach Ulugtschat. Um das zu erreichen, habe ich vier Stunden gebraucht. Das passt ja komischerweise genau zu der Vier, die mir die Frau angezeigt hat.

Eine Sache gibt mir zu Denken. Wieso haben die Taxifahrer und die Wachleute vorher inbrünstig behauptet, dass es hier nicht nach Ulugtschat geht? Wollten die Wachleute mich nur loswerden. Wollten die Taxfahrer mich in die Irre führen, um ein Extra-Geschäft zu machen? War es also Böswilligkeit? Oder gibt es dafür eine ganz andere Erklärung?

Ich habe bei der schwierigen Kommunikation in China schon öfters festgestellt, dass der Eindruck vermittelt wird, es geht gar nicht, wenn es jetzt sofort nicht geht. Es scheint nicht üblich zu sein, eine Information zu modulieren, etwa in der Art: "Es geht jetzt bedauerlicherweise nicht, aber etwas später wird es ganz bestimmt gehen."

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass es in der chinesischen Sprache keine Zeiten gibt. Wenn etwas in der Vergangenheit oder Zukunft liegt, dann muss das durch den Zusammenhang klargemacht werden. Ist das vielleicht der Grund, für die unglaubliche Verwirrung?

Sie scheinen nur Ja oder Nein zu kennen, alt oder neu, ganz oder gar nicht, nichts dazwischen. Wie konnten sie mit dieser Denkweise so weit kommen? Oder ist diese digitale Herangehensweise an die Welt gerade der Schlüssel zu ihrem Erfolg? Damit bringt man ganz bestimmt keine charmanten Menschenfreunde hervor. Aber vielleicht ist es ein großer Vorteil bei dem Versuch, die Welt zu beherrschen.

Auf jeden Fall ging ab jetzt alles ganz leicht. Die chinesische Kontrolle in Ulugtschat war nicht schlimm. Zunächst muss man ca. 2 Kilometer zu Fuß zu einem Tor laufen.

Nach der Durchsicht aller meiner Bilder ging es weiter. Draußen, hinter dem Kontrollposten, wartet schon ein Sammeltaxi. Dieses bringt mich zur 100 Kilometer entfernten, eigentlichen Grenze. Weil ich der einzige Fahrgast bin, muss ich das ganze Sammeltaxi bezahlen. Das ist nicht billig, aber es gibt hier keine andere Möglichkeit.

Als einziger Fahrgast darf ich natürlich vorne sitzen. Das ist ein Genuss in dieser schönen Landschaft. 

Es geht über den Irkeschtam-Pass, der über 3000 Meter hoch liegt. Allerdings merkt man das kaum, weil man vermutlich die letzten 200 Kilometer stetig angestiegen ist. Es gibt also auch zum Schluss keinen steilen Aufstieg. Es geht relativ flach über den Pass.

Auch hinter dem Pass liegt eine weite, schöne Landschaft.

Über die eigentliche Grenze nach Kirgisistan muss man dann wieder einen Kilometer zu Fuß laufen.

Auf der anderen Seite wartet wieder ein Sammeltaxi. Auch hier bin ich der einzige Fahrgast. Wieder zahle ich das ganze Taxi, um weiter zu kommen. Wieder fahren wir durch schöne Landschaft. 

Kirgistian schein ein bäuerliches Land zu sein. Man sieht öfters Leute auf Pferden reiten. Die Kühe scheinen hier sehr glücklich zu sein, denn sie dürfen überall frei rumlaufen. Hier kann man wohl sehr gut Wandern. Aber dafür habe ich jetzt leider keine Zeit mehr. 

Am späten Abend, es ist schon lange Dunkel, erreichen wir Osh. Diese Stadt scheint sehr zersiedelt zu sein. Am nächsten Tag bot sich mir folgendes Bild, mitten im Zentrum.

Von hier aus sind es nur wenige Kilometer bis zur Grenze nach Usbekistan. Die Leute sind sehr hilfsbereit. So finde ich schnell die richtige Stelle, von wo aus man mit einem Sammeltaxi nach Andijan in Usbekistan fahren kann. Diesmal ist das Sammeltaxi voll besetzt. Und diesmal darf dasselbe Sammeltaxi von einem Land zum anderen fahren.

Die Grenze zwischen Kirgisistan und Usbekistan ist kein Problem. 

Nach ca. einer Stunde sind wir alle durch die Kontrolle und es geht weiter ins 50 Kilometer entfernte Andijan.

Hier habe ich Anschluss an das Bahnnetzt.

Auf dem nahen Markt tausche ich alles kirgisische und chinesische Geld in usbekisches um. Das ist hier ganz leicht, weil überall auf dem Markt Geldtauscher ihre Dienste anbieten. 

Schnell noch etwas Proviant auf dem Markt eingekauft und dann geht es weiter mit dem Zug nach Taschkent. Weil ich nicht viel kirgisisches Geld habe, geht es diesmal nur in der normalen Klasse weiter. Aber trotzdem sind die Sitze bequemer, als bei uns in der ersten Klasse. 

Spät Abends erreiche ich dann Taschkent. Mit etwas Mühe finde ich schließlich ein Hotel in dieser unglaublich weitläufigen Stadt. Morgen werde ich mir die Stadt genauer ansehen.

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